OHRWÜRMER UND WIMMELBILDER

Bei Bildern mit Figurenbezug wie auch bei schwingenden Farbfeldern wird dem Betrachter seine kreative Mitarbeit beim Entstehen des eigentlichen Kunstwerks besonders deutlich bewusst. Vor dem Hintergrund seiner persönlichen Vorstellungen „korrigiert“ er die Sehangebote des Künstlers in Richtung auf die wohlproportionierte Gestalt (Hegel). Der Macher, das materiale Objekt und der Betrachter arbeiten kreativ zusammen.

Gundel S.C. und Klaus Bushoff zeigen in der Ausstellung des Aalener Kunstvereins Arbeiten, die in besonderer Weise offen sein wollen für die Mittäterschaft des Betrachters. In Bezug auf die feststellbare „Verwortelung“ der Wirklichkeit mischen sie den bildsprachlichen Informationen häufig wortsprachliche Ohrwürmer aus trivial-philosophischen Bereichen bei; das gehorsame Nachbuchstabieren der Künstlermitteilung soll durch solche Medienkollagen vermieden werden, der Kosmos der wechselnden individuellen Assoziationen wird erweitert. In Bezug auf das feststellbare „Überangebot“ in der Wirklichkeit zeigt das Künstlerpaar häufig überreizende Wimmelbilder in Stilvielfalt – der leicht konsumierbare vereinfachte Markenartikel mit dem abweisenden Déjà-vu-Effekt wird vermieden.
Das so genannte offene Bild, das interaktive Bild und das Suchbild – Programmpunkte der klassischen und nachklassischen Moderne – werden in dieser Ausstellung fest gemacht an der menschlichen Figur, von derer harmonischer Wohlproportioniertheit ein jeder eine angeborene Vorstellung haben soll – sagen die Klassizisten in uns.
Gundel S.C. führt den Betrachter hin zur Gestalt des Ganzmenschen (Goethe), die er in die überreichen, vibrierenden optischen Reize aus Natur und Zivilisation hineindeutet; sie war schließlich im Wald und in New York.
Klaus Bushoff führt über nuancenreiche Formauflösungen und Zerstückelungen weg von der ansatzweisen, erinnerten guten Form in Bereiche eines Schwebezustands zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit – in das Rimbaud‘sche „Meergedicht“.
Angesichts der Erosionen und Verwehungen in den Bildern und Kollagen von „Linienmann“ und „Farbenfrau“ tauchen beim wiederherstellenden und gestaltenden Betrachter auch Vanitas-Gedanken auf in der kulturhistorischen Doppelbedeutung des Wortes „eitel“. Ein ästhetisch wohltemperiertes Spiel mit dem Grauen der Vergänglichkeit und der Unbarmherzigkeit von Veränderungen und Widersprüchen?
Gemeinsam ist allen ausgestellten Malereien, Kollagen, Plastiken und Büchern die Absicht, das einst mehr formalistisch gedachte, überformatige ALL-OVER – also das sinnliche Eintauchen des Betrachters in ein pulsierendes Farbfeld – auch in relativ kleinformatigen Arbeiten zu ermöglichen und mit wechselnden Gedankenschwärmen zu verschmelzen.